Sonntag, 1. April 2012

Sebastian in Moskau

Aus Singapur heraus betreuen wir auch Russland, und mein aktuelles Projekt Einführung eines tools für die russischen BMW-Händler) führt mich zu einem Workshop nach Moskau.
Moskau - geprägt von 007, Gorki Park und dem Spion, der aus der Kälte kam, waren meine Erwartungen an diese tolle Stadt sehr gemischt. Gorbatschow hatte durch Glasnost und der Perestroika natürlich für Offenheit und Umbau gesorgt. Doch die "Russen-Mafia", die ja lange Zeit Thema jedes dritten Tatorts war, und die gefühltermaßen mittlerweile in jedem Urlaub anzutreffen ist, hatte meine Freude auf Moskau etwas eingetrübt. Doch dann gab es ja noch Erinnerungen an den Geschichtsunterricht, mit Zar Peter dem Großen, Oktober-Revolution, Andrei Sacharow und Jelena Bonner, sowie an den Matthias Rust, der dem Roten Platz eine eigene Größe gegeben hat, und natürlich Lenin, der, wie man alle Jubel-Jahre lesen kann, immer wieder aus seinem Mausoleum geholt und neu einbalsamiert wird.
Also Grund genug, sich auf die Stadt zu freuen!

Bei Ankunft am 25.03.2012: Kälte, Schnee, Eis! Minus 4 grad Celsius, brrrr! Auf Schnee-bedeckter Autobahn geht es vom Flughafen Domodedovo Richtung Innenstadt, nach 1,5h dann endlich im Zentrum, vorbei am Kreml und den ersten tollen Gebäuden! Kirchen, Kirchtürme und Prachtbauten wie aus dem Kino, denke ich! In den folgenden Tagen erkundige ich dann abends die Gegend ums Hotel. Den Weg vom Hotel zum Office erledige ich ab dem zweiten Tag mit der Metro. Das U-Bahn-Netz in Moskau ist gigantisch.
Die Bahngleise liegen teilweise 100m unter der Oberfläche, ewig lange Rolltreppen führen hinab in die teilweise unglaublich schönen Haltestellen. Teilweise, denn genauso gibt es (natürlich) die typischen, ostblock-mäßig das den Arbeiter- und Bauernstaat glorifizierende Schmuckwerk stalinistischer Bronzegiesserei.

Langsam der kyrillischen Zeichen mächtig, mache ich mich am Wochenende auf in die Stadt. Der Kreml, der Rote Platz. Das Mausoleum, in welchem man nicht sprechen und nicht stehen bleiben oder gar ein Foto machen darf, und was, obwohl dort ein Leichnam schön gekleidet zur Schau gestellt wird, doch irgendwie extrem beeindruckend ist. Das Kaufhaus Gym, einst (oder immer noch?) das größte der Welt, heute ein Platz für die Reichen und Schönen, only. Das Puschkin-Museum ist toll, die fehlenden englischen Beschreibungen, die mageren Ausführungen des Audio-Guide und die wagen Hinweise, daß Vieles nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg aus Deutschland nach Moskau gefunden hat, trüben den Eindruck jedoch.

Das Café erinnert mich an "Der zerrissene Vorhang", als Paul Newman in ein kleines Café in Ostberlin tritt, jeden Moment könnte Wolfgang Kieling ums Eck kommen...
Meine Erkundungen Moskaus lassen mich ein Blues-Kaffee finden, welches ich in den folgenden Tagen noch zwei Mal besuchen komme. Live-Musik und viel Liebe zum Detail machen den Schuppen eine Reise wert. Und das Publikum wirkt fast 'untypisch' russisch: keine der zwielichtigen Gestalten, wie ich sie sonst auf Moskau's Straßen gesehen habe. Denn auf der Straße hatte ich oft den Eindruck, die Russen-Mafia ist überall! Aus schweren Autos steigen plötzlich dunkel gekleidete Menschen aus, unwillkürlich macht man einen Schritt zur Seite. Denen will ich nicht ins Gehege kommen, so mein erster Gedanke.

Das Volk, so habe ich den Eindruck, teilt sich in:
- Lada- und Wolga-Fahrer, mit alten, rostenden und röhrenden Möhren (und dabei war früher der Wolga ein richtig fettes Auto!)
und
- prollige, protzende, 8-Zylinder mindestens - Fahrer (also die Kategorie, die auch durch BMW beliefert wird): Luxus-Limousinen und SUVs. 60km/h in der Stadt? No way, es wird gerast und geröhrt, was der Motor hergibt, schließlich war der Wagen teuer und die 300PS wollen gezeigt werden! Das BMW hier mit sprit-sparendem 'efficient dynamics', mit automatisch abschaltendem Motor an roten Ampeln und weiteren Gimicks keinen Blumentopf gewinnen kann, ist klar. Gut, daß wir ja die M-GmbH haben :-) Allen Autofahrern gemeinsam ist allein der Gebrauch von Winterreifen mit Spikes, wodurch die Lautstärke des Verkehrs in die Höhe schnellt, und die Straßen kaputt gehen. Aber auf dem Weg zur Datsche sollen die Spikes unumgänglich sein, lasse ich mir sagen. Naja.

Nach 13 Tagen gehts zurück, ich fühle mich schon richtig heimisch, kenne die Metroansagen auswendig, kann Essen bestellen und einige Wörter russisch.

Fazit:
Anders als erwartet, ist Moskau schon sehr 'westlich' geworden, schneller, als es der Stadt vielleicht gut tut. Es gibt MacDonalds, Starbucks, Mediamarkt, und vieles Mehr. Bei Autos gilt allerdings ausschließlich: je teurer, größer und schneller, desto besser. Anders als erwartet, ist Moskau noch sehr "Ostblock". Es gibt kaum englische Beschilderungen, Vopo-Präsenz ist allgegenwärtig, Schnee wird mit der Hand von der Straße geräumt, und der Ost-Charme steckt noch in vielen Orten, vor allem in den staatlich geregelten...
Doch gerne komme ich wieder!